St. Oswald: Fresken lassen Engelsorchester aufspielen

Stimmen das „Sanctus“ an – wenn auch unhörbar: die an den Himmel des Chorraumgewölbes in St. Oswald gemalten Engel. Auf dem Bild zu erkennen sind einige ihrer Instrumente, etwa Portativ und Hackbrett (unterhalb des oberen Gewölbebogens links und rechts), darunter Psalter und Trompete (unterhalb und rechts des Gewölbeschlusses in der Bildmitte). Foto: wip




VON HENNING WIECHERS


Dem Pommer die Töne zu entlocken, ist nicht leicht, das ist seinem Spieler anzusehen. Er macht dicke Backen. Und die Augen treten ihm fast aus dem Kopf vor Anstrengung, dem Engel, der da im Chorraum der St.-Oswald-Kirche in Heuchelheim-Klingen musiziert – neben zehn weiteren geflügelten Musikern an Instrumenten des Spätmittelalters und einem Sänger. Zu hören ist nichts, denn das Engelsorchester ist nur gemalt. Aber prächtig anzusehen ist es und sicher ein ziemlich einmaliger Freskenschatz, nicht nur für die Südpfalz.


Oboisten wissen um die Herausforderungen, denn ihr Instrument ist aus dem Pommer hervorgegangen. Der gehörte zur Entstehungszeit der Fresken im Chorraum der heutigen protestantischen Heuchelheimer Kirche zu den gängigen Instrumenten, wie auch die anderen hier in Engelshand dargestellten: etwa  Flöte und Einhandtrommel, Psalter und Hackbrett, Harfe, Knickhalslaute, Fidel, Schalmei, Trompete und auch ein Portativ, also eine kleine tragbare Orgel. „Sie zeigen den Stand des Musiklebens vor 1500, also des ausgehenden Mittelalters“, erklärt Heike Wagner, Musikschullehrerin im Ruhestand. Sie hat  sich spontan in das Engelsorchester „verliebt“, als sie es – als Gast in der Südpfalz – bei einem Ausflug nach Heuchelheim erstmals zu Gesicht bekam.

„Die Engel haben menschliche Züge. Die Instrumente selbst und deren Handhabung werden detailgetreu, ja liebevoll dargestellt“, schwärmt sie. Und sie und ihr Mann haben sich anschließend intensiv mit den Darstellungen und der Identifizierung der historischen Instrumente befasst, was nicht bei allen Darstellungen, zumal wo der Zahn der Zeit an ihnen genagt hat, immer ganz einfach war. Eingeflossen sind die Früchte dieser Arbeit auch in die Beratung zur Realisierung einer Broschüre zu den Fresken, die der Verein Altertrümmer Klingbachtal unter dem Titel „Musik der Engel“ im vergangenen Jahr herausgegeben hat. 2018 bereits wurde das Gotteshaus mit der Jakobsmuschel als Wegzeichen geschmückt und in die Reihe der Kulturdenkmäler im europäischen Projekt „Sternenweg/Chemin des étoiles“ aufgenommen, die Pilger auf den Jakobswegen zur kontemplativen Einkehr einladen sollen.


Fresken wurden mit Kalk übertüncht


Die musizierenden Engel sind nicht die ältesten der Fresken in der St.-Oswald-Kirche, die in ihrer heutigen Form um 1500 errichtet wurde, aber ältere Teile integriert. Bereits im 14. Jahrhunderts entstanden einige der Fresken, die heute noch zu sehen sind. Die Engel zogen erst beim Neubau an der Schwelle zum Reformationsjahrhundert in den Chorraum ein und durften ihren optischen Charme auch nur fünf Jahrzehnte lang entfalten, bis die Bilder in der dann protestantischen Kirche nicht mehr gelitten waren und mit Kalk übertüncht wurden. Aus heutiger Sicht war die Überkalkung allerdings ein Segen, denn sie konservierte die Malereien für 400 Jahre in gutem Zustand mit nur wenig Einbußen. 1960 wurden sie wiederentdeckt, anschließend  freigelegt und konserviert. Glück war es auch, dass das Kreuzgewölbe des Chorraumes einen Brand im Jahre 1765, dem das Kirchenschiff zum Opfer fiel, überstand.

Was die Musiker-Engel in ihrer symbolisch vollkommenen Zwölfer-Anzahl zu einem besonderen kunsthistorischen Schatz macht, ist, dass sie kaum  Zeitgenossen haben, erklärt Wagner: In der späteren Renaissance und  im Barock fänden sich zwar viele Darstellungen von Engeln als Musikanten, aber fürs ausgehende Mittelalter sind nur sehr wenige zu verzeichnen. Außerdem habe sich damals die Kirchenmusik gerade erst von der einstimmigen Gregorianik hin zur auch von Instrumenten getragenen Mehrstimmigkeit entwickelt. Die meisten Instrumente blieben lange der weltlichen Musik vorbehalten, und Darstellungen von Instrumenten jener Zeit seien sehr selten. „Wenn man sich aus musikgeschichtlicher Sicht dafür interessiert, welche Instrumente es im Spätmittelalter gab und wie sie gespielt wurden, muss man nach Heuchelheim kommen“, ist ihr Fazit.

Die himmlische Schar mit ihren irdischen Instrumenten sollte eine ganz bestimmte Aufgabe erfüllen: „In der Liturgie jener Zeit gab es die Vorstellung, dass während der Wandlung Engel vom Sternenhimmel das ,Sanctus‘ spielten. Da diese himmlische Musik für Erdenmenschen nicht hörbar war, sollte sie in der Meditation des Gebets sinnlich wahrgenommen werden“, schreibt Peter Michael Lupp, Kulturreferent des Regionalverbandes Saarbrücken und Leiter des Projekts „Sternenweg/Chemin des étoiles“, im Text zum „Denkbild“ für die Kirche.


Info

Internetseite des Projekts „Sternenweg/Chemin des étoiles“: 
www.sternenweg.net; 
Infos zur Heuchelheimer Kirche und Bezugsdaten für die Broschüre „Musik der Engel“ unter: www.sternenweg.net/desktop/Heuchelheim.html