Jockgrim: Ein Kugelhaus aus den 50ern

Das Jockgrimer Kugelhaus ist aus Stahl gefertigt und steht seit Ende 2002 beim Bürgerhaus. Ende der 1950er-Jahre erregte die Schöpfung des Johann Wilhelm Ludowici viel Aufsehen. Foto: Wiechers



VON HENNING WIECHERS


Bald nachdem es in Medien und auf Messen aufgetaucht war, bekam es einen liebevollen Spitznamen: „Osterhas sein Häusel“ nannten die Pfälzer das kugelrunde Gebäude, das Johann Wilhelm Ludowici entworfen und in seinem Unternehmen in wenigen Prototypen für eine spätere  Serienproduktion hatte bauen lassen. Das Kugelhaus wurde aber kein Renner, die Prototypen blieben die einzigen Exemplare. Eines davon steht heute beim Jockgrimer Bürgerhaus.


Johann Wilhelm Ludowici war der Sohn von Wilhelm Ludowici, der 1883 die Ziegelwerke im südpfälzischen Jockgrim etabliert  hatte. Der 1896 geborene Johann Wilhelm Ludowici – gestorben ist er 1983 – übernahm 1929 nach des Vaters Tod die Unternehmensleitung. Seine Interessen gingen allerdings weit über die bloße Ziegelproduktion hinaus. So war er unter der nationalsozialistischen Herrschaft als Parteimitglied vorübergehend auch in leitender Position mit Siedlungskonzepten befasst. Und nach dem Krieg regte ihn – so berichten etliche Chronisten – das Interesse der belgischen Regierung an mobilen Wohneinheiten für Arbeiter in entlegenen Regionen der damaligen Provinz Belgisch-Kongo zur Entwicklung eines Kugelhauses an.

Klein sollte das Haus sein, aber die grundlegenden Anforderungen an ein wohnliches Zuhause erfüllen. Es sollte gut transportabel sein und am Zielort keine aufwendigen Gründungsmaßnahmen erfordern. Mitte der 1950er-Jahre konnte Ludowici das Ergebnis seiner Tüfteleien präsentieren: eine Wohnkugel mit einem Durchmesser von 4,50 Metern. Diese bot „Platz für zwei Betten, ferner für eine Küche mit Sitzgelegenheiten und die erforderlichen sanitären Einrichtungen“, wie ein RHEINPFALZ-Artikel im August 1956 über die Neuentwicklung zusammenfasste.

Und der Artikel schilderte weitere entscheidende Vorteile: „Kugelhäuser können über Land, auf dem Wasser und in der Luft transportiert werden. (...) Auf diese Weise können fabrikfertige Kugelhäuser auch in Gebiete transportiert werden, in denen sich keine ausgebauten Straßen befinden. Das gleiche gilt für den Wassertransport. Die Häuser sind unten so abgedichtet, daß sie mit Hilfe eines Motorbootes ohne besondere Vorkehrungen auf der Wasseroberfläche gezogen werden können.“ Der im Artikel genannte Verwendungszweck ging schon über die der Entwicklung zugrundeliegende Anforderung hinaus: „Es ist eine modern eingerichtete Kleinstwohnung, aber nicht nur das, es ist ein ideales Wochenendhaus und läßt sich außerdem für viele gewerbliche Zwecke, zum Beispiel für Personal-Unterkünfte einer Erdölbohrgesellschaft oder für Motels, die ländlichen Hotels für Kraftfahrer, verwenden.“


Ludowici war nicht der Einzige, der kein Glück mit Kugelhäusern hatte


Baumaterial war alternativ Beton oder Metall – das heutige Jockgrimer Exemplar ist ein stählernes. Ein weiteres, allerdings schon stark vom Zahn der Zeit angenagtes, aus Beton steht am Altrhein bei Neupotz.

Die Prototypen der Ludowici-Kugelhäuser gingen dann in den späten 1950er-Jahren „auf Tournee“, wurden bei verschiedenen Ausstellungen präsentiert, etwa in Ludwigshafen auf der Herbstausstellung „Heim und Leben“ 1957, auf einer Londoner Ausstellung 1958 und 1960 auf der Deutsch-Französischen Gartenschau in Saarbrücken. Sie erregten  große Aufmerksamkeit – fanden aber keine Käufer. Und so wurden die drei Ausstellungsstücke schließlich auf dem Ludowici-Firmengelände abgelagert und rotteten ungenutzt vor sich hin. Sie wurden in den späten 1970er-Jahren von einem Liebhaber erworben und eines von ihnen später der Ortsgemeinde Jockgrim übertragen.  Vom Förderverein Ziegeleimuseum aufwendig restauriert, fand es schließlich Ende 2002 seinen Platz am Bürgerhaus nahe dem Museum, das das Andenken an die bereits 1972 aufgegebene Ziegelproduktion bewahrt.

Ludowici war nicht der Einzige, der kein Glück mit Kugelhäusern hatte. Ein anderer, der Stuttgarter Textilfabrikantensohn und Rennfahrer Egon Brütsch, baute in den frühen 1960er-Jahren Kugelhäuser aus Kunstharz, die den Ludowici-Modellen in der Größe recht ähnlich waren. Brütsch hatte schon vorher mit Kunstharz experimentiert und Ultraleicht-Autos gebaut, die aber ebenso wenig wie später seine Kugelhäuser Verkaufserfolge erzielten.

Die Kugelform kann allerdings  in der Architektur auch länger währende Erfolge verzeichnen, ein Beispiel ist das 1958 für die Expo in Brüssel errichtete Atomium. Und in der niederländischen Stadt Den Bosch,   auch ’s-Hertogenbosch genannt,  gibt es  eine ganze Siedlung mit  Kugelhäusern, die der Architekt Dries Kreijkamp entworfen hat und die 1984 gebaut wurden. Die „Bolwoningen“ werden bis heute genutzt.

Info

Die ARD-Mediathek bietet in der Rubrik „SWR-Retro“ einen historischen Abendschau-Beitrag vom 9. August 1960, der sich den auf der Deutsch-Französischen Gartenschau in Saarbrücken ausgestellten Kugelhäusern widmet  - Titel: „Kugelhaus aus Kunststoff“.