Großkarlbach: Eine dreischiffige Kapelle für die Kühe

Kreuzgewölbter Stall über Sandsteinsäulen: Es ist außergewöhnlich, dass eine Kuhkapelle durch sechs Sandsteinpfosten dreischiffig gegliedert ist. Meist sind diese ein- oder zweischiffig.  Foto: Bräunling



VON STEPHANIE BRÄUNLING

In der zum Leinigerland gehörenden Ortsgemeinde Großkarlbach ist in einem ehemaligen Weinbauernhof ein Bauwerk zu finden, das es in dieser Form nur selten gibt: eine dreischiffige Kuhkapelle. Der über Sandsteinsäulen kreuzgewölbte Stall aus 1845 wurde zu Beginn der 1990er-Jahre, ebenso wie die weitläufigen Wirtschaftsgebäude, vor dem Verfall gerettet. Entstanden ist eine Ausstellungsfläche für die „Werkstatt und Galerie in alten Mauern“, wo sich die Verbundenheit zur Tradition zeigt.

Über dem äußeren Tor des traufständigen, zweieinhalbgeschossigen Torhausbaues mit dem Krüppelwalmdach verweist ein schmiedeeisernes Schild auf die „Palatina-Werkstatt“. Was sich hinter dem neunachsigen Putzbau mit den dunkelgrünen Klappläden in der Großkarlbacher Hauptstraße tatsächlich alles verbirgt, ist von außen  nicht zu erkennen.  

 „Das gesamte Anwesen hat einige Jahrzehnte leer gestanden und war sehr marode“, erzählt Jörg Beyer, der Inhaber der „Palatina-Werkstatt“. In den 1990er-Jahren habe es der damalige Besitzer, ein gelernter Töpfer, unter den Vorgaben des Denkmalschutzamtes von Grund auf renoviert und alte Bausubstanzen in mühevoller Arbeit erhalten. Beyer: „Für die Einrichtung seiner Töpferei hat er sich einen ganz außergewöhnlichen Teil des Anwesens hergerichtet: die Kuhkapelle.“  

Während die dreischiffige Halle, deren Kreuzgratgewölbe aus Ziegeln von sechs Sandsteinsäulen getragen wird, durchaus an eine Kapelle erinnert, erschließt sich der Zusammenhang mit Kühen nicht unbedingt von selbst. „Die Kuhkapelle wurde Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge einer Erweiterung des 1720 entstandenen Weinbauernhofs errichtet“, erläutert Beyer deshalb. Man habe die Weidehaltung von Kühen immer mehr zugunsten der Stallhaltung aufgegeben, um so die Erträge bei der Milchproduktion zu steigern. „Dafür waren wesentlich größere Stallungen erforderlich“, so Beyer. Die zunächst in der herkömmlichen Fachwerkbauweise errichteten Stallungen stellten sich schon bald als unzweckmäßig heraus, da von dem über den Ställen gelagerten Heu eine erhöhte Brandgefahr ausging. „Außerdem faulten die Balken sehr schnell durch die hohe Luftfeuchtigkeit, die durch die Ausdünstungen der Tiere und den Dung entstand“, ergänzt er. Manchmal seien dadurch ganze Häuser eingestürzt, die direkt an der Scheune standen.

Wer es sich leisten konnte, ersetzte deshalb alte Holzgebäude durch Steinställe. „Die Dächer für diese Art von größeren Stallungen konnte man damals jedoch nur mit auf Säulen ruhenden Kreuzgewölben statisch sicher konstruieren“, verdeutlicht Beyer. Der Begriff Kuhkapelle sei vermutlich durch den sakralen Charakter dieser Bauweise entstanden. „In herrschaftlichen Anwesen und Klostergütern wurden schon seit dem Mittelalter Zeughäuser oder Marställe als mehrschiffig gewölbte Hallen gebaut“, fügt er hinzu. Innerhalb der bäuerlichen Architektur waren sie erst im 19. Jahrhundert, vermutlich sogar nur regional, in der Pfalz und in Hessen zu finden.

Bauern emanzipieren sich vom Adel

„Daran lassen sich die gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen dieser Zeit sowie die Emanzipation der Bauern vom Adel erkennen“, führt Beyer weiter aus. Mit massigen Gewölbebauten, möglichst vielen Säulen und kunstvoll gearbeiteten Kapitellen wurde der eigene Wohlstand präsentiert. „Nach der Überlieferung sind ganze Kolonnen von italienischen Maurern in der Pfalz und in Rheinhessen von Haus zu Haus gezogen, um bei gut betuchten Weingütern diese Kuhkapellen zu bauen“, berichtet er. Deshalb gebe es in der Hauptstraße von Großkarlbach einige solcher Kuhkapellen. Die meisten hätten jedoch nur ein oder zwei Schiffe, je nach Anzahl der Sandsteinpfosten und Größe. „Dass eine Kuhkapelle, wie hier in der ,Palatina-Werkstatt‘, durch sechs Sandsteinpfosten dreischiffig gegliedert ist, ist außergewöhnlich.“

Für die Töpferei bot die Kuhkapelle den idealen Rahmen. Das Sortiment wurde jedoch immer größer. Zu Selbstgetöpfertem kam frostsichere Kreta-Keramik dazu und, als Jörg Beyer das Geschäft alleine übernommen hatte, unter anderem hochwertige Schneidwaren sowie selbst gefertigte Holzfassmöbel und -accessoires. Weitere Ausstellungsflächen schaffte er deshalb in den zum Teil aus Bruchsteinen gemauerten Scheunen. Der kopfsteingepflasterte Vierseithof vor der Kuhkapelle bietet viel Fläche für seine Auswahl an großer, frostfester Pflanzkeramik, Terrakotta-Amphoren und Pflanzen. Für Unikate von regionalen und bekannten Kunsthandwerkern und Künstlern, die zu seinem Sortiment passen, hat er ebenfalls immer ein Plätzchen frei. Auch in dem langgezogenen Garten hinter den weitläufigen Wirtschaftsgebäuden, für den er schon weitere Ideen hegt: „Hier möchte ich noch Restauration anbieten und einen Begegnungspunkt im kleinen Stil schaffen, weil man im Sommer in dem Garten wunderbar sitzen und sich verweilen kann.“