Wenn es nur noch ums Recht haben und nicht mehr um die Sache selbst geht,
ist eine gütliche Einigung meist schwierig. Foto: Ute Grabowsky/Imago
VON BERRIT GRÄBER
Kindergeschrei, Trompetenlärm, Knoblauchduft: Kaum etwas scheint die Deutschen so auf die Palme zu bringen wie ihre Nachbarn. Grundsätzlich gilt: Reden hilft mehr als prozessieren. In Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern ist bei Nachbarschaftsstreitigkeiten vor dem Gang zum Gericht eine außergerichtliche Mediation zwingend. Erst, wenn diese scheitert, kann geklagt werden.
Der tägliche Nachbarschaftswahnsinn geht so: Ein Berufsmusiker übt täglich auf der Trompete. Sein Spiel ist mit 95 Dezibel so laut wie ein Presslufthammer. Im Haus nebenan liegen die Nerven blank. Jetzt muss der Bundesgerichtshof (BGH) ein Machtwort sprechen. Oder: Ein Laubbläser-Fan pustet zweimal am Tag die Herbstblätter weg. Lärmpegel: Bis zu 115 Dezibel. Die Nachbarn schäumen. Oder: Täglich toben und kreischen sieben Kinder in der Trampolin-Hüpfburg im Reihenhausgarten. Schallleistung: gefühlte Kreissägen-Stärke. Die ganze Siedlung ist genervt. Die Eltern sagen: Kinder dürfen das. Oft entzündet sich Streit auch an allzu üppigen Hecken, vermeintlich zu großen Carports, Schuhen im Treppenhaus oder Kochgerüchen. Millionen Nachbarn liegen selbst wegen Kleinigkeiten erbittert im Clinch, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Pro Jahr landen über 500.000 Fälle vor Gericht. Grundsätzlich aber gelte: Das Gespräch suchen hilft mehr als prozessieren.
Streit um Kinderlärm:
Mit himmlischer Ruhe kann es schnell vorbei sein, wenn Familien mit Kindern eine Tür weiter einziehen, ob im Mietshaus, in Wohnanlagen oder Reihenhaussiedlungen. Genervte Nachbarn sollten sich jedoch in Toleranz üben, gibt Julia Wagner zu bedenken, Referentin für Recht beim Eigentümerverband Haus&Grund Deutschland. Denn: Gegen Kinderlärm gibt es rechtlich betrachtet kaum eine Handhabe. „Er muss weitestgehend geduldet werden“, sagt auch Mietrechtsexperte Wild. Fühlen sich Nachbarn massiv gestört, hilft nur eins: das Gespräch mit den Eltern suchen. Diese sind grundsätzlich gehalten, auf das Ruhebedürfnis ihrer Mitbewohner Rücksicht zu nehmen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) (Az.: VIII ZR 226/16). Hinzu kommt: Ständiger, intensiver Kinderlärm aus der Nachbarwohnung kann ein Grund für eine Mietminderung sein. Ob der Vermieter dafür verantwortlich ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Aber: Vorherige Beratung tut Not, es kommt immer auf den Einzelfall an. Bricht der Nachwuchs von nebenan jeden Morgen beispielsweise lautstark Richtung Kindergarten oder Schule auf, rechtfertigt das noch lange keine Mietminderung, wie das Landgericht München urteilte (I 31 S 20796/04).
Streit ums Musizieren:
Was zur Verzweiflung treiben kann, ist Hausmusik von nebenan. Speziell in hellhörigen Mietshäusern und Altbauten steht schnell im Kreuzfeuer der Kritik, wer ausgiebig trommelt, klimpert, trötet oder flötet. Grundsätzlich dürfen Mieter in ihrer Wohnung musizieren und üben. Vermieter können das nicht generell verbieten. Aber: Je lauter das Instrument, desto weniger Spielzeit ist erlaubt. Ein Klavier oder eine Flöte sind mit ihrem Schallpegel von gut 80 Dezibel etwa so laut wie eine Fräsmaschine. Ein Schlagzeug kommt auf Dezibel-Werte wie eine Diskothek. Und so müssen Gerichte im Einzelfall immer wieder entscheiden, wie lange musiziert werden darf, damit die Nachbarn nicht übermäßig belastet werden. Wird ein Mieter ständig durch Musik gestört, kann das ein Grund für eine Mietminderung sein. Der Musiker muss dann damit rechnen, dass der Vermieter Schadenersatz von ihm will. Zerstrittenen Haus- und Wohnungseigentümern helfen Schlichter oder Mediatoren dabei, eine für alle akzeptable Lösung zu finden. „Wir können nur raten, so etwas außergerichtlich zu klären“, betont Haus&Grund-Expertin Wagner. Entscheidet ein Gericht, habe immer einer das Nachsehen – manchmal treffe es sogar beide.
Streit im Herbst:
Hängt das reife Obst über den Zaun in Nachbars Garten, wird häufig gestritten: Wer darf die Früchte ernten? Die Antwort steht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB): Solange Obst am Baum hängt, gehört es dem Baumbesitzer – auch das, was in den fremden Garten ragt. Der Nachbar darf nur das Fallobst von seinem Grund aufsammeln. Nachhelfen, etwa durch Schütteln der Zweige, darf er nicht.
Worüber sich Anwohner noch viel öfter in die Haare kriegen, ist das bunte Laub, das auch auf Nachbargrundstücke fällt. Schimpfen bringt nichts: Das fremde Laub ist zu dulden, auch wenn das Kehren und Entsorgen Arbeit macht. Ausnahmen: Verstopfen die Blätter, Nadeln und Zapfen mehrfach die Dachrinne oder muss das Garagendach deshalb ständig gereinigt werden, kann der Betroffene einen finanziellen Ausgleich vom Nachbarn verlangen.
Richtig Zoff gibt es oft um den Einsatz von Laubbläsern. Wer sich beim Krachmacher beschwert, kann sich auf klare Verordnungen berufen: Werktags, auch samstags, sind Laubbläser nur zwischen 9 und 13 Uhr sowie 15 und 17 Uhr erlaubt – auf keinen Fall aber schon am frühen Morgen.
Für Verdruss sorgen auch herüberwachsende Bäume oder Hecken, wie Thomas Jung erläutert, Anwalt für Nachbarschaftsrecht in Potsdam. Wer die wuchernde Pflanzenpracht des Nachbarn mit der Gartenschere heimlich stutzt, riskiert eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Das Ärgernis in Ruhe ansprechen sei erfolgversprechender, betont Jung. Weigert sich der Nachbar, ist immer noch Gelegenheit, einen Anwalt mit der Thematik zu betrauen.
Streit um Kleinkram:
Den Nachbarn bringt nicht nur das Bellen der Hunde nebenan an den Rand des Wahnsinns, auch lautstark heruntersausende Rollläden oder spätes Duschen in der Wohnung nebenan können nerven. Manche Mieter brechen Streit vom Zaun wegen exotischer Essensgerüche im Haus. Statt Meckern wäre Toleranz angesagt, urteilte das Amtsgericht Hamburg-Harburg (Az.: 643 C 230/92). Zu dulden ist auch das Abstellen von Kinderwagen im Eingangsbereich – solange es andere nicht massiv beeinträchtigt. Räder dürfen notfalls in die Wohnung. Wer seinen Schuhschrank ins Treppenhaus auslagert und dafür Schelte vom Nachbarn kassiert, hat dagegen schlechte Karten. Schuhe, Regale, Besen- oder Schuhschränke haben nichts im Hausflur zu suchen. Sie gehören in die Wohnung, nicht auf Gemeinschaftsflächen. Ein Schuhregal vor der Tür des einzigen Mieters im Dachgeschoss darf aber sein, entschied das Amtsgericht Herne (Az.: 20 C 67/13).
Kein Pardon gibt es für Bewohner, die ihren Müll einfach vor der Tür zwischenlagern. Gleiches gilt für Blumenkübel oder Skulpturen, die jemand im Treppenhaus abstellt, um es nach seinem Geschmack zu dekorieren. Ein Einzelner hat kein Recht zu solchen Deko-Aktionen, heißt es beim Deutschen Mieterbund. Dafür darf jeder seine Wohnungstür schmücken, wie er will – mit Herbst- oder Adventskränzen ebenso wie mit „Herzlich willkommen“-Schildern (Landgericht Düsseldorf. Az.: 25 T 500/98 und Landgericht Hamburg, Az.: 333 S 11/15).
„Ich habe Fälle, wo sich Mandanten seit 20 Jahren streiten und alles so festgefahren ist, dass es nur noch ums Recht haben oder Gewinnen geht“, berichtet Anwalt Jung. Manchmal sei ein Wohnungswechsel oder der Verkauf der Immobilie der beste Weg, um endlich einen Schlussstrich unter die Streitereien zu ziehen.