Essingen: Wendelinuskapelle birgt einen Schatz

Das schlichte mittelalterliche Gebäude birgt einen prächtigen Bilderbogen im Turminneren: Hier sind zwei Motive mit Lokalbezug zu sehen – Josef im Essinger Schlossgarten (oberes Motiv links der Gewölberippe) sowie Maria und Elisabeth unter den Arkaden des Schlosses (rechts anschließend). Foto: wip




VON HENNING WIECHERS


Sie ist das älteste Gebäude im südpfälzischen Dorf Essingen bei Landau: die heutige Wendelinuskapelle, einst Kirche des früheren Oberessingen. 1280 wurde das Gotteshäuschen der Jungfrau Maria geweiht, seine Wurzeln reichen aber wohl noch mehr als zwei Jahrhunderte weiter zurück. Und es hat seinen mittelalterlichen Charme bewahrt. Seit einem Jahr gehört es deshalb zu den mit der Jakobsmuschel als Wegzeichen geschmückten Kulturdenkmälern im europäischen Projekt „Sternenweg/Chemin des étoiles“.


Die Bezeichnung „Sternenweg“ nimmt Bezug auf die Milchstraße am Nachthimmel, die frühen Jakobspilgern zur Orientierung diente. Die Aufnahme in die Reihe der am irdischen „Sternenweg“ ausgezeichneten Bauwerke, die heutige Jakobspilger zur kontemplativen Einkehr einladen sollen, verdankt die Essinger Wendelinuskapelle vor allem ihrer künstlerischen Innengestaltung: Mit „al secco“-Wandmalereien aus dem 14. oder 15. Jahrhundert „erlaubt der Innenraum der Wendelinuskapelle eine Ahnung von der Aura, die der Kirchenraum im Mittelalter auf die Menschen ausstrahlte“, heißt es in der Begründung zur Verleihung der Jakobsmuschel. Diese Wandmalereien – das Chorgewölbe im Turm bietet einen prächtigen Bilderbogen mit Motiven zur Jungfrau Maria als zentralem Thema, im Langhaus finden sich noch Fragmente – wurden auf trockenen Untergrund aufgebracht, das bezeichnet der Begriff „al secco“ im Gegensatz etwa zur „al fresco“-Malerei auf frischem, noch feuchten Putz. Dargestellt sind unter anderem die Verkündigung der Geburt Jesu, der Traum des Josef, die Überreichung der Geschenke durch die Heiligen Drei Könige, die Flucht nach Ägypten und der zwölfjährige Jesus im Tempel. Eingearbeitet sind auch ortstypische Bezüge, etwa Details des ehemaligen Essinger Schlosses, das später zerstört wurde. Auch der damalige Ortsherr Balthasar von Rosenberg ist zu sehen – als einer der drei das Jesuskind besuchenden Könige.

Dass diese Marien-Malereien so vollständig erhalten geblieben sind, verdankt sich ausgerechnet reformatorischem Eifer, der den Marienkult ablehnte, erklärt Wilfried Schweikart, Vorsitzender des Heimatvereins St. Wendelinus Essingen, der sich seit fast 50 Jahren um den Erhalt des Kapelle kümmert: Nachdem 1556 Essingen zur evangelisch-lutherischen Konfession übergegangen war, wurden die Malereien übertüncht. Und die sie bedeckende Kalkschicht konservierte sie für die nächsten 400 Jahre bestens. Sie schlummerten sozusagen der Wiederentdeckung entgegen. Schließlich wurde gar das ganze kleine Gotteshaus, das anstatt der Jungfrau Maria inzwischen dem Bauernheiligen Wendelinus gewidmet war, schlafen gelegt, das heißt nicht mehr für Gottesdienstzwecke genutzt. „Nach dem Krieg war es unter anderem Lagerraum für die Feuerwehr“, weiß Schweikart zu berichten. 
Das Erwachen kam 1967, als zwei junge Essinger eher zufällig bei einer Einkehr in das heruntergekommene Gemäuer auf die an bröckelnden Putzstellen sichtbar gewordenen verborgenen Kunstschätze aufmerksam wurden. Wilfried Berger, damals junger Lehrer, heute vielen Pfälzern vor allem als Mundartdichter ein Begriff, meldete den Fund dann an die zuständigen Stellen. Die Restaurierung begann jedoch erst Jahre später, nachdem sich auf Initiative von Berger und dem seinerzeit auch für die RHEINPFALZ tätigen Pressefotografen Kurt Freitag 1972 der Heimatverein St. Wendelinus gegründet hatte. Neben der Freilegung der Malereien, für die der Herxheimer Restaurator und Kirchenmaler Otto Schulz gewonnen wurde, waren erhebliche Anstrengungen zur baulichen Sanierung nötig, gut 300.000 Mark wurden dafür aufgebracht, so Schweikart. Der Lohn der Mühen ist ein heute wieder höchst schmuckes Gebäude für Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen.

Die jüngste größere Herausforderung hatte der Verein zwischen 2017 und 2019 zu bestehen: die Renovierung des Dach- und Glockenstuhls im Turm, für die knapp 20.000 Euro aufzubringen waren. Die Schäden hatten sich bei einer Untersuchung gezeigt, die dem Entschluss von politischer Gemeinde und den Kirchengemeinden beider Konfessionen als Besitzer der Kapelle folgte, die vorhandene Glocke durch eine neue zu ersetzen. Die vorhandene war eine 1936 gefertigte, deren Inschriften Adolf Hitler und seine Anhänger beim Putschversuch von 1923 verherrlichten – eine der sogenannten Hitler-Glocken in der Pfalz. Die Kosten für die neue Glocke von 10.000 Euro übernahm die protestantische Landeskirche, die für die bauliche Sanierung von gut 17.000 Euro mussten vor Ort in einer Spendensammlung aufgebracht werden. Der feierliche Glockentausch konnte im Juli 2019 vorgenommen werden. Die „Hitler-Glocke“ wurde als Dauerleihgabe dem Historischen Museum der Pfalz in Speyer überantwortet.


Info

Besichtigungen können vereinbart werden mit Wilfried Schweikart, Vorsitzender des Heimatvereins, Telefon: 06347 919221